Als am Mittwochmorgen das Wahlergebnis endgültig feststand, wurde es nicht nur in Deutschland mit Überraschung, teilweise Fassungslosigkeit aufgenommen. Donald J. Trump wird der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika sein.
Nach einem heftigen und schmutzigen Wahlkampf voll von sexistischen, rassistischen und anderweitig deplatzierten Äußerungen müssen wir uns als Europäer*innen fragen, wie wir nun reagieren. Donald Trump hat während seiner Kampagne zur Gewalt gegen Demonstrant*innen aufgerufen, die Inhaftierung politischer Gegner*innen gefordert, kritischen Journalist*innen juristische Verfolgung angedroht und die Akzeptanz demokratischer Entscheidungsprozesse in Frage gestellt. Trumps vergleichsweise gemäßigte und versöhnliche Rede nach seinem Wahlsieg lässt zwar hoffen, aber dennoch wird es schwierige Themen geben. Er hat eine protektionistische und isolationistische Agenda. Er hat Zweifel daran genährt, ob die USA ihrer Beistandspflicht im Falle eines Angriffs auf einen europäischen NATO-Partner nachkommen würden. Er will den Welthandel beschränken. Auch europäische Politiker*innen wie Angela Merkel haben ihren Teil an Beleidigungen erfahren. Er leugnet den Klimawandel und wünscht sich mehr Nationen mit Atomwaffen. Mit Trump als Präsidenten wird die Handelspolitik zwischen der EU und den USA sicherlich nicht einfacher. Und dass die EU in Fragen der Sicherheitspolitik mehr Eigenständigkeit erlangen muss, um den Herausforderungen der Zukunft gerecht zu werden, wird immer mehr zur Gewissheit. Trumps Aussagen und Positionen sind besorgniserregend. Die nächsten Monate und Jahre werden zeigen, wie viel davon leeres Gerede war und welche Taten er folgen lässt.
Aber viel wichtiger ist die Frage nach dem Warum. Wie konnte es zu diesem Erfolg kommen? Wie kann es ein Wahlergebnis geben, das eine Mehrheit der Europäer*innen und einen großen Teil der Amerikaner*innen mit Ungläubigkeit, ja Entsetzen zurücklässt? Auch in Deutschland und Europa sind die rechtspopulistischen Kräfte auf dem Vormarsch. Und auch bei uns wird der Riss in der Gesellschaft immer größer, die Ablehnung und das Unverständnis nehmen zu, das politische Klima wird immer brutaler.
Der amerikanische Wahlkampf hat einmal mehr gezeigt, dass es in breiten Teilen der Bevölkerung einen schwerwiegenden Vertrauensverlust in die politischen Eliten gibt. Viele Menschen haben den Eindruck, dass finanzstarke „special interests“ einen privilegierten Zugang genießen, während von den Folgen der Globalisierung negativ betroffene Regionen etwa im mittleren Westen der USA abgehängt und im Stich gelassen werden. Donald Trump hat diese Probleme aufgegriffen, und sie mit seinen einfachen rassistischen Antworten und seiner menschenverachtenden Rhetorik verknüpft. Der US-Wahlkampf hat uns unmissverständlich klar gemacht, dass diese Probleme real sind und dringend angegangen werden müssen.
Und diese Probleme haben wir auch in Europa. Viele Menschen sehen die Europäische Integration als Verlust ihrer Souveränität; ihre Stimme werde weniger gehört, sie sei weniger wert. Aber ein funktionierendes Europa sollte allen Wähler*innen mehr Macht auf mehr Ebenen geben. Das ist die Idee des Föderalismus. Aber dafür muss sich Europa radikal verändern. Es muss demokratischer und transparenter werden.
Im Zeitalter einer weltweit vernetzten Wirtschaft, grenzüberschreitender Umweltrisiken und global agierender krimineller Organisationen und Terrorist*innen kann Souveränität im Sinne politischer Handlungsfähigkeit nicht durch einen Rückzug in den Nationalstaat, sondern nur durch eine transnationale Demokratie mit einer starken international vernetzten Zivilgesellschaft gewahrt werden. Damit alle Menschen die Globalisierung mitgestalten und an ihren Errungenschaften teilhaben können, müssen wir ihnen eine Stimme geben. Ist das nicht Föderalismus? Lasst uns in Europa anfangen.
Was können wir tun? Wir als JEF und als junge politisch interessierte und engagierte Bürger*innen, ja als Einwohner*innen auf diesem Planeten müssen ausbrechen aus unserer Blase, wir müssen raus in die Welt und versuchen, die Probleme zu verstehen. Wir müssen Arroganz vermeiden, und wir müssen das Establishment und die gängigen Konventionen in Frage stellen. Raus aus dem Elfenbeinturm. Europa ist kein Elitenprojekt! Wir dürfen die roten Linien der Menschenfeindlichkeit nicht überschreiten und müssen jede*n zur Rede stellen, der dies tut. Wir müssen den Konflikt und die Kontroversen wagen. Fairer (!) Konflikt und Meinungsvielfalt sind für die Demokratie ebenso wichtig wie Konsens und Kompromiss. Hillary Clinton hat auch deshalb verloren, weil jede ihrer Aussagen wirkt, als wäre sie auf bestimmte Wählerschichten zugeschnitten. Authentizität und starke Meinungen sind wichtig in der Politik. Aber man muss immer bereit sein, sie zu hinterfragen und zu ändern.
Es gibt viel zu tun, aber es gibt auch unendlich viele Möglichkeiten. Jede*r kann sich engagieren. Ob bei den Jusos oder in der JU, bei den JuLis, der Grünen Jugend oder bei solid. Bei Greenpeace oder dem NABU. Amnesty, Attac, den Transatlantikern, Hanseatic Help, der Jugendfeuerwehr oder dem Schrebergartenverein. Für Geflüchtete oder für Umweltschutz; für Steuergerechtigkeit oder für Menschenrechte. Hauptsache, man steht auf vom Rechner und steht ein für seine Überzeugungen.
Dass es so viele junge Menschen gibt, hier bei uns in der JEF und überall auf der Welt, die dies bereits tun, lässt uns auch an so einem Tag hoffnungsvoll zurück.